Nichtzulassungsbeschwerde zum BAG: Häufige Fehler – so gelingt eine tragfähige Begründung
In einem aktuellen Beschluss hat das Bundesarbeitsgericht (BAG) eine Nichtzulassungsbeschwerde als unzulässig verworfen, weil die Begründung die gesetzlichen Anforderungen des § 72a Abs. 3 Satz 2 ArbGG nicht erfüllte (BAG, Beschluss vom 18. Juni 2025 – 7 AZR 138/24). Die Entscheidung ist ein Lehrstück dafür, woran Nichtzulassungsbeschwerden in der Praxis scheitern – und was eine belastbare Begründung enthalten muss.
Die drei klassischen Zulassungsgründe – und was das BAG konkret verlangt
Wichtig: Anders als im Zivilrecht vor dem BGH gibt es im Arbeitsrecht keine 20.000‑Euro‑Wertgrenze für die Nichtzulassungsbeschwerde. Entscheidend ist allein, ob einer der gesetzlichen Zulassungsgründe schlüssig dargelegt wird. Das Arbeitsgerichtsgesetz kennt nur wenige, eng auszulegende Zulassungsgründe. Das BAG prüft streng, ob sie in der Begründung tatsächlich tragfähig dargelegt sind. Drei Baustellen stehen dabei regelmäßig im Fokus:
1) Grundsätzliche Bedeutung (§ 72a Abs. 3 Satz 2 Nr. 1 ArbGG)
Erforderlich ist eine präzise, abstrakte Rechtsfrage, die über den Einzelfall hinausweist. Typische Anforderungen:
- Klare, fallübergreifende Frage (Ja/Nein-Charakter), die die Auslegung, Geltung oder Anwendung einer Norm betrifft.
- Substantiierte Klärungsbedürftigkeit: Warum ist die Frage ungeklärt? Wo wird sie umstritten beurteilt? Von wem und in welchem Umfang?
- Konkrete Entscheidungserheblichkeit im Streitfall.
Fehler, die das BAG regelmäßig rügt:
- Fragen, die zu kasuistisch sind oder nur die eigene Fallbewertung wiederholen.
- Bloßer Hinweis, es gebe „noch keine höchstrichterliche Entscheidung“.
- Fehlende Darlegung, wo und warum es in Rechtsprechung oder Literatur Streit gibt.
2) Divergenz (§ 72 Abs. 2 Nr. 2 ArbGG i.V.m. § 72a Abs. 3 Satz 2 Nr. 2 ArbGG)
Gefordert ist eine Abweichung in einem tragenden abstrakten Rechtssatz:
- Gegenüberzustellen sind präzise Rechtssätze aus der angefochtenen Entscheidung und aus der Vergleichsentscheidung (z. B. einer anderen Kammer eines LAG oder einer BAG-Entscheidung).
- Die Abweichung muss sich auf die gleiche Rechtsfrage beziehen.
- Reine Ergebnisabweichungen oder ein „Sicherungsbedürfnis einheitlicher Rechtsprechung“ genügen nicht.
Häufiger Fehler: Es werden nur unterschiedliche Ergebnisse präsentiert, ohne die divergierenden abstrakten Rechtssätze sauber herauszuarbeiten.
3) Verletzung des rechtlichen Gehörs (Art. 103 Abs. 1 GG; § 72a Abs. 3 Satz 2 Nr. 3 Alt. 2 ArbGG)
Die Gehörsrüge ist kein Auffangtatbestand für Unzufriedenheit mit der Beweiswürdigung. Erforderlich ist:
- Konkreter, übergangener Vortrag: Was genau wurde vorgetragen? Wo steht es?
- Entscheidungserheblichkeit: Warum wäre die Entscheidung bei Berücksichtigung anders ausgefallen?
- Kausalität: Wie wirkt sich der behauptete Verfahrensfehler aus?
Typische Konstellationen, die nicht tragen:
- Die Rüge, das Gericht habe „überraschend“ entschieden, ohne darzulegen, welcher zusätzliche, entscheidungserhebliche Vortrag bei Ankündigung der Verhandlungsschließung noch erfolgt wäre.
- Der Vorwurf, das Gericht habe Aussagen „falsch gewürdigt“ – eine reine Angriffsrichtung gegen die Beweiswürdigung.
- Ein übergangenes Beweisangebot, ohne darzulegen, welches Ergebnis die Beweisaufnahme voraussichtlich gehabt hätte und worin die Entscheidungserheblichkeit liegt.
Praxisnah: Was das BAG im Beschluss konkret beanstandet hat
- Keine hinreichend abstrakten Rechtsfragen: Die Beschwerde formulierte keine präzisen, fallübergreifenden Rechtsfragen, die sich mit „Ja“ oder „Nein“ beantworten lassen.
- Fehlende Klärungsbedürftigkeit: Es fehlten belastbare Ausführungen dazu, warum die Fragen ungeklärt sind und wo es Streit gibt.
- Divergenz nicht tragfähig dargelegt: Es wurden keine abweichenden abstrakten Rechtssätze gegenübergestellt; die bloße Berufung auf „einheitliche Rechtsprechung“ genügt nicht.
- Gehörsrüge unzureichend:
- „Überraschungsentscheidung“ ohne konkrete Darlegung, welcher entscheidungserhebliche Vortrag abgeschnitten wurde.
- Behauptetes Übergehen von Vortrag ohne genaue Bezeichnung und ohne Entscheidungserheblichkeit.
- Übergangener Zeugenbeweis ohne Darstellung des zu erwartenden Ergebnisses und der Ursächlichkeit für die Entscheidung.
- Kritik an der Beweiswürdigung – dafür ist die Nichtzulassungsbeschwerde nicht der richtige Hebel.
- Einzelfallfehler in der Rechtsanwendung sind kein Zulassungsgrund: Sie werden nur in einer bereits zugelassenen Revision überprüft.
Checkliste: So strukturieren Sie eine tragfähige Begründung nach § 72a ArbGG
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- Fristen im Blick behalten: Einlegung und Begründung laufen unter strengen, kurzen Notfristen.
- Zulassungsgrund klar wählen – und belegen:
- Grundsatzrüge:
- Abstrakte Rechtsfrage präzise formulieren (Normbezug, Ja/Nein-Format).
- Klärungsbedürftigkeit mit Nachweisen (Rechtsprechung/Literatur) darlegen.
- Entscheidungserheblichkeit für den Fall aufzeigen.
- Divergenzrüge:
- Tragende abstrakte Rechtssätze exakt gegenüberstellen.
- Identische Rechtsfrage, echte Abweichung, Entscheidungserheblichkeit.
- Gehörsrüge:
- Konkreten, übergangenen Vortrag/Beweisantritt zitierfähig bezeichnen.
- Voraussichtliches Beweisergebnis schildern.
- Kausalzusammenhang zur Entscheidung nachvollziehbar darlegen.
- Grundsatzrüge:
- Nicht verwechseln:
- Reine Rechtsfehler des Einzelfalls und Unzufriedenheit mit der Beweiswürdigung eröffnen keine Nichtzulassungsbeschwerde.
- Sorgfältige Dokumentation:
- Protokollfragen (z. B. Verhandlungsschließung) nur rügen, wenn konkret entscheidungserheblicher weiterer Vortrag möglich und beabsichtigt war – und benannt wird.
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- Anlagen sind kein Ersatz für eine klare, in sich geschlossene Begründungsschrift.
Fazit
Nichtzulassungsbeschwerden scheitern oft nicht am materiellen Recht, sondern an der Begründungstechnik. Wer die Hürden des § 72a ArbGG ernst nimmt, arbeitet:
- mit präzisen, abstrakten Rechtsfragen,
- mit belastbarer Klärungsbedürftigkeit,
- mit sauberer Divergenzarbeit auf Rechtssatzebene,
- und mit strikt kausal aufgebauten Gehörsrügen.
Der aktuelle Beschluss des BAG macht deutlich: Nur eine formal und inhaltlich schlüssige Begründung eröffnet überhaupt das Tor zur Revision. Wer die typischen Fallstricke meidet, erhöht die Erfolgsaussichten spürbar.
Dr. Meides Rechtsanwälte & Partner, Fachanwälte für Arbeitsrecht, sind ausgewiesene Experten für kollektives Arbeitsrecht, im Tarifvertragsrecht und bei tariflichen Sozialkassen und vertreten Unternehmen regelmäßig vor dem Bundesarbeitsgericht in der Nichtzulassungsbeschwerde und Revision. Schreiben Sie gerne eine E-Mail an MEIDES Rechtsanwälte Frankfurt.
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