BAG: Krankmeldung aus Nicht‑EU-Land – Beweiswert erschüttert

Neue Entscheidung des Bundesarbeitsgerichts (BAG) zur Auslands-Krankmeldung und Entgeltfortzahlung: Das BAG hat klargestellt, wann Arbeitgeber den Beweiswert einer im Ausland ausgestellten Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung erschüttern können – und was Beschäftigte dann liefern müssen.

Der Fall in Kürze

Ein langjähriger Mitarbeiter verbringt Urlaub in Tunesien. Ein Arzt attestiert „schwere Ischialbeschwerden“, verordnet 24 Tage strenge häusliche Ruhe und verbietet Reisen. Bereits am nächsten Tag bucht der Mitarbeiter eine Fähre und reist noch innerhalb des Verbotszeitraums per Auto und Fähre nach Deutschland zurück. Der Arbeitgeber verweigert die Entgeltfortzahlung. Das Landesarbeitsgericht gab zunächst dem Arbeitnehmer recht. Das BAG hob dieses Urteil auf und verwies die Sache zurück – mit klaren Leitplanken für die Beweiswürdigung.

Was hat das BAG entschieden?

  • Auslands-AU ist grundsätzlich gleichwertig: Auch eine Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung aus einem Nicht‑EU‑Land hat denselben Beweiswert wie eine deutsche – aber nur, wenn erkennbar Arbeitsunfähigkeit attestiert ist und nicht bloß eine Erkrankung.
  • Keine automatische Beweiskraft: Eine AU begründet keine gesetzliche Vermutung. Arbeitgeber dürfen Indizien vortragen, die Zweifel wecken. Sie sind nicht auf die Regelbeispiele des § 275 Abs. 1a SGB V beschränkt.
  • Gesamtwürdigung zählt: Einzelumstände reichen für sich genommen oft nicht. Treffen aber mehrere ungewöhnliche Punkte zusammen, kann der Beweiswert kippen.
  • Folge bei erschüttertem Beweiswert: Dann muss der Arbeitnehmer konkret und für den gesamten Zeitraum darlegen (und ggf. beweisen), welche Beschwerden, Diagnosen, Einschränkungen, Verhaltensmaßregeln und Medikamente vorlagen.

Welche Umstände waren hier auffällig?

  • Ungewöhnlich lange Dauer ohne Begründung: 24 Tage „strenge häusliche Ruhe“ überschreiten die in der AU‑Richtlinie regelmäßig genannte Höchstdauer von zwei Wochen deutlich. Eine nachvollziehbare Begründung und Nachkontrolle fehlten.
  • Widerspruch zum ärztlichen Verbot: Fährbuchung direkt nach dem Attest und lange Rückreise vor Fristende trotz Reiseverbots.
  • Auffällige Muster: In der Vergangenheit mehrfach Arbeitsunfähigkeit im unmittelbaren Zusammenhang mit Urlaubszeiten.

Diese Punkte mussten in einer Gesamtschau bewertet werden.

Bedeutung aus drei Perspektiven

Aus Unternehmenssicht

Das Urteil stärkt die Möglichkeit, bei begründeten Auffälligkeiten die AU kritisch zu prüfen und die Entgeltfortzahlung (zunächst) zu verweigern – ohne gleich den „Gegenbeweis“ der Gesundung erbringen zu müssen. Wichtig bleibt eine strukturierte, dokumentierte Vorgehensweise.

  • Attest prüfen und übersetzen lassen: Ist ausdrücklich Arbeitsunfähigkeit bescheinigt? Stimmen Daten, Dauer und Diagnose?
  • Auffälligkeiten dokumentieren: Dauer deutlich über 14 Tage ohne Begründung, fehlende Nachkontrolle, Reise trotz Reiseverbot, wiederholte AU direkt nach Urlaub.
Aus Betriebsratssicht

Betriebsräte sollten auf klare, faire Regeln zur Krankmeldung -insbesondere aus dem Ausland- hinwirken. Transparenz schützt die Belegschaft vor formalen Fallstricken und bewahrt zugleich die berechtigten Interessen des Arbeitgebers.

  • Betriebsvereinbarung Krankmeldung: Anzeigepflichten, Fristen, Erreichbarkeit, Inhalte bei Auslandsfällen (Übersetzung, Kontaktdaten des Arztes).
  • Aufklärung fördern: Hinweise zu Risiken widersprüchlichen Verhaltens (z. B. Reisen trotz ärztlichen Verbots).
  • Schulungen anbieten: Richtiges Verhalten bei Krankheit, Dokumentationspflichten, Kommunikation mit der Personalabteilung.
Aus Arbeitnehmersicht

Auslands-AUs sind nicht weniger wert. Sie müssen aber klar Arbeitsunfähigkeit bescheinigen und mit dem eigenen Verhalten übereinstimmen. Wer ärztliche Anweisungen missachtet (z. B. Reisen trotz Reiseverbot), riskiert den Lohnfortzahlungsanspruch.

  • Klare Bescheinigung einholen: Der ausländische Arzt soll ausdrücklich „Arbeitsunfähigkeit“ bestätigen, nicht nur „krank“.
  • Ärztliche Anweisungen einhalten: Reiseverbote sind ernst. Wenn eine Reise unumgänglich ist, vorher ärztliche Freigabe schriftlich geben lassen.
  • Dokumentation sichern: Beschwerden, Behandlungen, Medikamente und Verhaltensmaßregeln notieren. Nachkontrollen vereinbaren.

Fazit

Auslands‑Atteste sind nicht weniger wert – aber auch nicht unantastbar. Treffen mehrere ungewöhnliche Umstände zusammen, kann der Beweiswert kippen. Dann muss der Arbeitnehmer konkret darlegen, warum er im gesamten Zeitraum arbeitsunfähig war. Arbeitgeber sollten strukturiert prüfen, fair kommunizieren und sauber dokumentieren. Beschäftigte fahren gut mit Transparenz und der strikten Befolgung ärztlicher Anweisungen.

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