Rohrreinigung als Bautätigkeit: Müssen Kanalreiniger jetzt Urlaubskassenbeiträge zahlen?

Rohrreinigung durch Spülen – eine bauliche Tätigkeit?

Die tarifliche Sozialkasse der Bauwirtschaft, kurz SOKA-Bau, zeigt sich seit jeher sehr aktiv darin, neue Branchen und Tätigkeiten in den Kreis ihrer Beitragszahler aufzunehmen. Nun gelang es ihr, vor dem Arbeitsgericht an ihrem Sitz in Wiesbaden ein Urteil gegen ein hessisches Kanalreinigungsunternehmen zu erwirken. Dieses soll mehr als 600.000 Euro an die SOKA-Bau überweisen, als Beitragsnachzahlung für insgesamt vier Jahre.

Das Besondere an der Entscheidung: Das Arbeitsgericht Wiesbaden sieht auch reine Rohrreinigung als bauliche Tätigkeit. Das gilt der Urteilsbegründung zufolge unabhängig davon, ob die Reinigungstätigkeiten beispielsweise zur Vorbereitung einer Rohrsanierung in Inliner- oder Kurzliner-Technik dienen. Vielmehr ist für das Arbeitsgericht bereits das reine Freispülen eines verstopften Rohrs eine bauliche Tätigkeit, die der SOKA-Bau grundsätzlich das Recht auf Beitragsforderungen gibt.

Kanal- und Rohrarbeiten und die SOKA-Bau: die Rechtslage vor dem Urteil

Rohrleitungsbau-, Rohrleitungstiefbau-, Kabelleitungstiefbauarbeiten und Bodendurchpressungen“ zählt der Verfahrenstarifvertrag über das Sozialkassenwesen in der Bauwirtschaft zu den Tätigkeiten, für die Arbeitgeber grundsätzlich SOKA-Beiträge entrichten müssen (§ 1 Abs. 2 Abschn. V Nr. 25 VTV). Deshalb hat das Hessische Landesarbeitsgericht schon vor Jahren einen Betrieb zur Nachzahlung von Beiträgen verpflichtet, der neben Rohrreinigung gerade auch Sanierungs- und Ausbesserungsarbeiten an Rohren vornahm.

In unserem Bericht zu jener Entscheidung hatten wir geschrieben: „Für Inhaber von Kanalsanierungs- und Rohrreinigungsbetrieben versteckte sich im Urteil des Landesarbeitsgerichts jedoch ein Hoffnungsschimmer. Die Richter verwiesen ausdrücklich darauf, dass Arbeiten zur Kontrolle und zum Durchspülen von Rohrsystemen nur dann baulich werden, wenn sie den Sanierungsarbeiten zuzurechnen sind. Nur die Rohr- und Kanalreinigung an sich ist keine bauliche Tätigkeit.

So weit, so nachvollziehbar. Die Sichtweise am Wiesbadener Arbeitsgericht war allerdings eine andere. Da dies im Widerspruch zur Rechtsprechung der höheren Instanz steht, wurde dagegen inzwischen auch Berufung beim Hessischen Landesarbeitsgericht eingelegt.

Die Urteilsbegründung positioniert streng

Die Sozialkasse stützte ihre Ansprüche darauf, dass ihrer Meinung nach mehr als 50 Prozent der Gesamtarbeitszeit des Betriebes bauliche Arbeiten umfassten: Rohrleitungsbau- und -tiefbauarbeiten, dazu Reinigungstätigkeiten und Dichtigkeitsprüfungen, die im Zusammenhang mit Rohrsanierungen standen. Das beklagte Unternehmen eröffnete eine Gegenrechnung: es beharrte darauf, dass, 70 bis 80 Prozent der Gesamtarbeitszeit auf Rohr- und Kanalreinigung und damit zusammenhängende Arbeiten wie TV-Inspektion, Kanalortung und Dichtheitsprüfung ohne Sanierung oder Bautätigkeit entfielen.

Das Arbeitsgericht Wiesbaden hielt diesen Streit für überflüssig: seiner Meinung nach sind „Prüf- und Reinigungstätigkeiten an Kanalrohren“ selbst ohne Sanierungsarbeiten „bauliche Tätigkeiten“ im Sinne des VTV. Rohrprüfung gehört demnach zur Instandhaltung. Rohrreinigung durch Freispülen erwähnt das Gericht allein im Zusammenhang mit Rohrprüfung, und zwar als „vorausgehende und notwendige Arbeiten“.  Als weiteres Argument verweist die Urteilsbegründung darauf, dass Rohrprüfung und Kanalreinigung auch Teil der Ausbildungsinhalte für den Beruf des Kanalbauers seien.

Hoffen auf die Berufungsverhandlung

Es mag zutreffen, dass Rohrleitungen vor Sanierungs- und Prüfarbeiten zunächst regelmäßig gereinigt werden. Daraus folgt umgekehrt aber keineswegs, dass es nur im Zusammenhang mit Sanierungstätigkeiten zur Reinigung kommt. Im Gegenteil: Das isolierte Durchspülen zur Beseitigen von Verstopfungen ist Teil der Pflege der Rohre, keine bauliche Tätigkeit.

Wenn ein verwahrloster Altbau grundsaniert werden soll, dann muss er zunächst entrümpelt und entmüllt werden. Mit der Logik des Urteils ließe sich argumentieren, dass sich daraus die allgemeine Baulichkeit von Entrümpelungen ergibt. Das gleiche Problem besteht bei dem Argument, Rohrreinigung sei Teil der Ausbildungsinhalte von Kanalbauern. Das ist zwar richtig. Es bedeutet jedoch nicht, dass das Reinigen von Rohren eine Form von Kanalbau darstellt. Was für den Kanalarbeiter Voraussetzung seiner eigentlichen Tätigkeit ist, stellt in anderen Fällen eine reine Wartungsarbeit an Rohren ohne bauliche Komponente dar. Und auch hier im Gegenteil: Rohrreinigung ist Teil des Ausbildungsinhalts der „Fachkraft für Rohr-, Kanal- und Industrieservice“, nämlich des Ausbildungsberufs der Rohr- und Kanalreiniger – also sach- und fachnäher als der Kanalbau. Man darf hoffen, dass diese Missverständnisse in der nächsten Instanz fortgespült werden.

Kanalreinigung oder Rohrleitungs-Service? Die Fachanwaltskanzlei Meides berät Sie zur SOKA-Pflicht

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