Metallschutz: auch ohne jeden Bauwerksbezug Beitragspflicht zur SOKA-Bau
Industrielle Eisenschutzarbeiten? Baulich, egal was entrostet wird!
„Rostschutz? Industrielles Entrosten und Beschichten ist grundsätzlich immer baulich, ganz egal was entrostet wird. Bezug zu einem Bauwerk ist nicht nötig. Beiträge an die Sozialkasse der Bauwirtschaft werden selbst dann fällig, wenn Ihr Unternehmen in der eigenen Werkhalle Maschinenteile bearbeitet„. So könnte man, etwas überspitzt, eine Entscheidung des Landesarbeitsgerichts Hessen in Frankfurt am Main wiedergeben.
Das Urteil ist ein Warnsignal für Betriebe, die sich auf Metallschutzarbeiten durch Strahlen und Beschichten spezialisiert haben, etwa an Teilen von Industrieanlagen, Maschinen, Schiffen oder Rohrsystemen. Solchen Unternehmen droht in vielen Fällen die „Zwangseingemeindung“ in die SOKA-Bau, die tarifliche Sozialkasse der Bauwirtschaft.
Folge: Der Arbeitgeber muss für jeden gewerblichen Arbeitnehmer und jeden Angestellten Beiträge für eine Urlaubskasse und eine betriebliche Zusatzvorsorge bezahlen, zusätzlich zu den gesetzlichen Sozialversicherungsbeiträgen. Der Gesamtbetrag hängt vom Sitz des Unternehmens ab und erreicht zum Beispiel in Westberlin mehr als 25 Prozent des Bruttolohns.
Ein Betrieb für Metallschutzarbeiten wird von der SOKA-Bau verklagt
Ein Betrieb aus Schleswig-Holstein entrostet und beschichtet in seinen Betriebshallen und Strahlkabinen große Metallelemente wie Lüfter, Hydraulikteile, Maschinenbauteile, Metallträger, Gittermasttürme, Geländer und Schiffs-Einzelteile. Für den anschließenden Wiederaufbau oder Wiedereinbau ist er nicht zuständig. Die Sozialkasse der Bauwirtschaft fordert von dem Unternehmen die Nachzahlung von Beiträgen für zwei gewerbliche Arbeitnehmer sowie zwei Angestellte, für drei Jahre, insgesamt fast 65.000 Euro.
Der Betrieb bestreitet, dass er in den Geltungsbereich des VTV fällt, des Sozialkassen-Tarifvertrags der Baubranche. Die SOKA-Bau klagt ihre Forderungen ein. Das Arbeitsgericht Wiesbaden, am Sitz der Sozialkasse, entscheidet im Sinne des Unternehmens: Wenn selbst das Entrosten von Kleinteilen wie Klampen, Poller und Anlegeringen vom VTV erfasst sei, betreffe das Tätigkeiten, die zur Metall- und Kfz-Industrie gehörten. Es warf die Frage auf, ob der Tarifvertrag bei einer derart weiten Auslegung noch vom Satzungszweck der Gewerkschaft und der Arbeitgeberverbände gedeckt sei.
Das Hessische Landesarbeitsgericht in Frankfurt am Main als nächste Instanz hatte mehr Verständnis für die SOKA-Bau. Es entschied, dass die im VTV erwähnten „Eisenschutzarbeiten“ auch ohne jeden Bauwerksbezug in den Geltungsbereich des Tarifvertrags fallen und damit die Beitragspflicht zur SOKA-Bau begründen.
Der Geltungsbereich des VTV wird sehr breit interpretiert
In einem anderen Verfahren hatte das Bundesarbeitsgericht bereits festgestellt, dass Entrostungsarbeiten an Schiffen eine Beitragspflicht zur SOKA-Bau auslösen können, auch wenn es dabei um kein Bauwerk geht. Diese Lesart wurde vom LAG Hessen nun noch erweitert: damit ist grundsätzlich jeder Betrieb zur Beitragszahlung verpflichtet, in dem mehr als 50 Prozent der Arbeitszeit auf Metallschutzarbeiten wie Entrostung und Beschichtung entfallen. Bezug zu einem Bauwerk ist nicht erforderlich.
Allerdings werden nur Industriebetriebe vom VTV erfasst, soweit es um diese Art Tätigkeiten geht. Führen Handwerksbetriebe Eisenschutzarbeiten durch, ist die Malerkasse für sie zuständig, die tariflichen Sozialkasse des Maler- und Lackiererhandwerks. Die Richter des Landesarbeitsgerichts ordneten den von der SOKA verklagten Betrieb als industriell ein, auch wenn er nur vier Mitarbeiter hatte. Schon die Handwerkskammer in Flensburg hatte ihm früher die Aufnahme verweigert.
Warum zählt ein Industriebetrieb für Metallschutz zum Baugewerbe?
Der kritischen Frage, ob die Tarifvertragsparteien der Baubranche beim Rostschutz nicht in fremden Gefilden wilderten, konnte das Gericht sich nicht ganz verschließen. Eine Unzuständigkeit der IG Bauen-Agrar-Umwelt für Eisenschutzarbeiten lasse sich aus deren Satzung jedoch nicht begründen. Die Gewerkschaft sei für das Baugewerbe zuständig, was darunterfalle, werden „in erster Linie“ durch die Tarifverträge definiert.
Das klingt wie: Baulich ist, was die Bau-Tarifparteien für baulich erklären. Das Gericht sah jedoch offenbar keine Probleme. Zwar kämen Antikorrosionsbeschichtungen auch bei der Produktion von Flugzeugen, Autos oder Fahrzeugen vor. Das Risiko einer Überschneidung des VTV mit den Tarifverträgen der Metall- und Elektroindustrie wurde vom LAG trotzdem negiert. Ein „ernsthaftes Konkurrenzproblem“ stelle sich nicht, da diese Beschichtungsarbeiten in jenen Branchen nur eine „untergeordnete Rolle“ spielten.
Zum Weiterlesen:
- Über eine ähnliche Entscheidung hatten wir bereits in diesem Beitrag berichtet: „Entrostung und Eisenschutzarbeiten: selbst an Schiffen eine „bauliche Tätigkeit?„
- Dagegen erlebte die Malerkasse eine Niederlage, als sie von einem auf Schiffe spezialisierten Großbetrieb Beiträge einziehen wollte: „Beiträge zur Malerkasse für Korrosionsschutzarbeiten?„
Fazit: eine tarifliche Institution wuchert über ihre Branche hinaus
Das Urteil zeigt erneut, dass die Ansprüche der SOKA-Bau mittlerweile weit über das eigentliche Baugewerbe hinausreichen. Das wird vom Landesarbeitsgericht so abgesegnet, weil es bezweifelt, dass die Tarifverträge der Metall- und Elektroindustrie die Eisenschutzarbeiten erfassen. Damit bleibe als „einzig in Betracht kommender Tarifvertrag“ der BRTV beziehungsweise VTV der Bauwirtschaft. In irgendeiner Schublade müssen diese Betriebe eben landen?
Das Ergebnis: Die Herstellung von Metallgeländern in einer Werkstatt führt nicht zur SOKA-Beitragspflicht, ihre spätere Entrostung schon. Die industrielle Produktion von Fertigbauelementen ist nicht beitragspflichtig, dafür jedoch das industrielle Beschichten von Metall-Maschinenbauteilen. Eine kohärente Tariflogik sieht anders aus. Zudem hat die Beitragspflicht von Eisenschutzbetrieben nur noch wenig mit dem eigentlichen Anliegen der tariflichen Urlaubskasse zu tun. Ursprünglich ging es darum, Bauarbeitern einen bezahlten Urlaub zu sichern, trotz dem für den Bau damals typischen häufigen Stellen- und Arbeitgeberwechsel. Inwiefern betrifft dieses Problem Fachbetriebe, die Schiffs- und Maschinenbau durch professionelle Korrosionsschutz-Dienstleistungen unterstützen?
Man gewinnt den Eindruck: Hier akquiriert ein von den Tarifparteien konstituiertes De-facto-Versicherungsunternehmen, in Form eines rechtsfähigen Vereins kraft staatlicher Verleihung, auf Grundlage ministerieller Allgemeinverbindlicherklärungen immer neue Zwangskunden – gerne auch auf dem Weg über die Gerichte.
Immerhin: das Sozialkassen- und Tarifrecht ist sehr detailabhängig. Das spielt nicht allein den Sozialkassen in die Hände. Auch bei der Abwehr ihrer Ansprüche lassen sich oft genug Klauseln im VTV und den anderen Tarifverträgen finden, die eine Beitragspflicht im Einzelfall verhindern. Über die Perspektiven Ihres eigenen Unternehmens klärt die Frankfurter Fachanwaltskanzlei Dr. Meides Rechtsanwälte & Partner, Fachanwälte für Arbeitsrecht, Sie gerne fachkundig auf. Die Anwälte der Kanzlei sind auf die Beratung von Arbeitgebern zu unberechtigten Forderungen der tarifvertraglichen Sozialkassen spezialisiert.
Sie erreichen die Meides Rechtsanwaltsgesellschaft durch eine E-Mail an Dr. Meides Rechtsänwalte, Frankfurt a.M.
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