Unterrichtungsfehler beim Betriebsübergang: Wird die Rechtsprechung pragmatischer?

Betriebsübergang ohne Unterrichtungsfehler: Wie eine Kuh auf Glatteis?

Aus Sicht der beteiligten Unternehmen gleicht der Verkauf oder Übergang eines Betriebs oder Betriebsteils oft einem arbeitsrechtlichen Hindernislauf mit vielen Fallen. So unterlaufen beispielsweise bei der Information der vom Betriebsübergang betroffenen Arbeitnehmer schnell folgenschwere Formfehler. Doch das Bundesarbeitsgericht scheint geneigt, sie zukünftig etwas milder zu beurteilen.

Die Unterrichtung der Arbeitnehmer und ihr Recht auf Widerspruch

Bei einem Betriebsübergang gelten klare gesetzliche Anforderungen:

  • Der Arbeitgeber muss neben diversen anderen Pflichten die Arbeitnehmer über den Betriebsübergang unterrichten. § 613a Abs. 5 BGB verlangt Aufklärung über den (geplanten) Zeitpunkt, den Grund, die rechtlichen, wirtschaftlichen und sozialen Folgen für die Arbeitnehmer und die geplanten Maßnahmen.
  • Daraufhin haben die Arbeitnehmer einen Monat Zeit, dem Übergang des Arbeitsverhältnisses auf den neuen Arbeitgeber zu widersprechen. Machen sie davon Gebrauch, besteht der Arbeitsvertrag mit dem bisherigen Arbeitsgeber weiter bzw. lebt wieder auf. Die Frist beginnt mit dem Zeitpunkt der Unterrichtung.

Unterrichtungsfehler und ihre Folgen

Dass Arbeitnehmer über einen geplanten Betriebsübergang und seine Auswirkungen informiert werden müssen, leuchtet ein. Allerdings hat das Bundesarbeitsgericht in der Vergangenheit sehr hohe Anforderungen an diese Informationen gestellt. Demnach müssen Unterrichtungsschreiben ausdrücklich auf das Widerspruchsrecht hinweisen. Sie müssen zudem detailliert die Haftungsaspekte und Einschränkungen darstellen, die sich aus § 613a BGB ergeben, etwa ein zeitweiliges Kündigungsverbot.

Das Risiko aus Arbeitgebersicht: Bei fehlender oder fehlerhafter Unterrichtung beginnt die Einmonatsfrist für Widersprüche gar nicht erst zu laufen. Vom Betriebsübergang betroffene Mitarbeiter können ihr Widerspruchsrecht dann selbst nach Jahren noch dazu nutzen, um wieder in das Beschäftigungsverhältnis beim früheren Arbeitgeber zurückkehren.

Ausgeschlossen ist der Widerspruch erst nach Verwirkung des Widerspruchsrechts. Nach der bisherigen BAG-Rechtsprechung trat diese Verwirkung regelmäßig erst nach sieben Jahren oder noch später ein. Und selbst dann musste der Arbeitnehmer zumindest „grundlegende Informationen“ zum Übergang des Arbeitsverhältnisses erhalten haben.

Unterrichtungsfehler beim Betriebsübergang ohne Belang für die Willensbildung: Andeutung des 2. Senats des BAG?

Seit 2021 ist der zweite und nicht mehr der achte Senat des Bundesarbeitsgerichts in Erfurt für das Thema Betriebsübergang zuständig. Vielleicht deutet sich deshalb eine neue Linie an. In einer Urteilsbegründung des zweiten Senats deutet sich jedenfalls an, dass bei Unterrichtungsfehlern eine „differenzierte Betrachtungsweise“ erforderlich sei, wenn diese„ für den Willensbildungsprozess der Arbeitnehmer ohne Belang“ sind.

Erst Betriebsübergang mit Rückkehrrecht, dann Insolvenz des neuen Arbeitgebers

Allerdings war dieser Aspekt im konkreten Fall nicht ausschlaggebend. Geklagt hatte der Mitarbeiter eines Apothekenabrechnungszentrums. Es wurde zunächst von mehreren Betriebskrankenkassen als Eigenbetrieb geführt. Im Jahr 2011 wurde es auf eine GmbH & Co KG übertragen, deren Kommanditisten die Kassen waren. Unter anderem ver.di hatte mit dem bisherigen und dem neuen Arbeitgeber einen Überleitungstarifvertrag geschlossen, der im Fall betriebsbedingter Kündigungen bis 2015 ein Rückkehrrecht zum alten Arbeitgeber einräumte.

2019 stellte der neue Arbeitgeber Insolvenzantrag. Daraufhin widersprachen mehrere Mitarbeiter dem 2011 erfolgten Übergang ihrer Arbeitsverhältnisse. In Verfahren, die vom BAG parallel entschieden wurden, klagten sie auf Feststellung ihrer Weiterbeschäftigung beim früheren Arbeitgeber. Allerdings hatten sie vor dem Bundesarbeitsgericht genauso wenig Erfolg wie in den Vorinstanzen, dem Arbeitsgericht Essen und dem Landesarbeitsgericht Düsseldorf. Das Unterrichtungsschreiben zum Betriebsübergang hatte zwar den Anforderungen nicht entsprochen. Durch die Zeitspanne von acht Jahren und die Umstände des widerspruchslosen Weiterarbeitens war das Widerspruchsrecht jedoch verwirkt. Für diese Verwirkung war das tarifvertragliche Rückkehrrecht ohne Belang.

Fazit: Möglicherweise wird es für Arbeitgeber beim Betriebsübergang einfacher

Im konkreten Fall waren die Rechtsfolgen der Unterrichtungsfehler beim Betriebsübergang für die Entscheidung nicht von Belang. Dass der zweite Senat des BAG trotzdem den Hinweis auf die Willensbildung im Zusammenhang mit Unterrichtungsfehlern in die Urteilsbegründung eingeflochten hat, kann man aus Arbeitgebersicht als positives Zeichen sehen.

Allerdings liegt damit noch keine Entscheidung in der Sache vor. Und selbst wenn diese Andeutung die kommende Rechtsprechung prägt, bleibt die Frage, wann genau eine fehlende Information den „Willensbildungsprozess“ der Arbeitnehmer beeinflusst und wann nicht.

Kompetente arbeitsrechtliche Beratung zum Betriebsübergang für Arbeitgeber und Betriebsräte

Rechtsanwalt Dr. Peter Meides ist Fachanwalt für Arbeitsrecht und befasst sich seit Jahrzehnten mit der Lösung komplexer arbeitsrechtlicher Fragen. Dazu gehören auch die Anforderungen, Rechte und Pflichten im Zusammenhang mit dem Verkauf oder der Übertragung eines Betriebs oder Betriebsteils. Fachanwalt Dr. Meides berät sowohl Arbeitgeber wie Betriebsräte. Sie erreichen die Meides Rechtsanwaltsgesellschaft durch eine Nachricht an ffm@meides.de.

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