BAG zu digitalem Gewerkschaftszugang: kein digitaler Zugang zum Betrieb per E-Mail
Keine Herausgabe betrieblicher E‑Mail-Adressen, kein Anspruch auf Zugang zu betriebsinternem Netzwerk, kein fester Startseiten-Link im Intranet
Das Bundesarbeitsgericht (BAG) hat wichtige Leitplanken für den „digitalen“ Zugang von Gewerkschaften zu Betrieben gezogen. Kurz gesagt: Arbeitgeber müssen Gewerkschaften weder die dienstlichen E‑Mail‑Adressen ihrer Beschäftigten herausgeben noch einen weitreichenden Zugang zu internen sozialen Netzwerken einrichten. Auch ein unverrückbarer Link auf der Intranet-Startseite des Arbeitgebers ist nicht geschuldet.
Worum ging es beim digitalen Zugang der Gewerkschaft?
Ein großer Sportartikelhersteller nutzt Microsoft 365, ein Intranet und ein betriebliche soziales Netzwerk. Die zuständige Gewerkschaft verlangte u.a.:
- die Herausgabe sämtlicher (auch künftiger) dienstlicher E‑Mail-Adressen der Beschäftigten,
- hilfsweise die Einrichtung einer verteilerfähigen E‑Mail-Adresse (Auto-Weiterleitung an alle),
- die Duldung unaufgeforderter E‑Mails bis zu 104 pro Jahr und Empfänger (max. 5 MB),
- Zugang als „internal user“ bzw. Gast zur wöchentlichen Veröffentlichung von Posts,
- einen unveränderbaren Link zur Gewerkschaftsseite auf der Startseite des Intranets.
Die Kernaussagen des BAG
- Keine isolierte Auskunft über E‑Mail-Adressen: Die Gerichte dürfen die Koalitionsbetätigungsfreiheit (Art. 9 Abs. 3 GG) nicht nur zum „Wie“ des Zugangs ausformen. Zur verfassungsrechtlich gebotenen Abwägung gehört untrennbar auch die beabsichtigte Nutzung (Häufigkeit, Umfang, Inhalte). Ein reiner Herausgabeanspruch für E‑Mail-Adressen scheidet deshalb aus.
- Auch kein „kombinierter“ Anspruch (Auskunft + Duldung bis 104 E‑Mails/Jahr): In der Gesamtabwägung überwiegen hier die Arbeitgeberinteressen. Gründe:
- fortlaufender organisatorischer Aufwand und Eingriffe in die betriebliche Organisation (regelmäßige Aktualisierung/Lieferung künftiger Adressen),
- Schutz der informationellen Selbstbestimmung der Arbeitnehmer und datenschutzrechtliche Vorgaben (ohne Einwilligung keine Herausgabe an Dritte),
- Risiko betrieblicher Störungen bei massenhaftem/gebündeltem Versand.
- Kein Anspruch auf „internal user“-Zugang: Dieser Status eröffnete der Gewerkschaft weitreichende Einblicke in das gesamte Netzwerk (arbeitsbezogene Kommunikation, Daten, Profile) und damit unzumutbare Eingriffe in die unternehmerische Betätigungsfreiheit und den Schutz interner Informationen.
- Kein unverrückbarer Startseiten-Link im Intranet: Eine Analogie zu § 9 Abs. 3 S. 2 BPersVG (Linkpflicht im öffentlichen Dienst) lehnt das BAG für den Anwendungsbereich des BetrVG ab. Jedenfalls ein fester, nicht entfernbarer Link auf der Intranet-Startseite verletzt die Gestaltungsfreiheit des Arbeitgebers.
- Negative Koalitionsfreiheit der Beschäftigten ist durch gewerkschaftliche Werbung per se nicht verletzt; maßgeblich bleiben aber Datenschutz und betriebliche Funktionsfähigkeit.
Was bedeutet das für die Praxis?
Für Arbeitgeber
- Keine Herausgabe-Liste nötig: Sie müssen Gewerkschaften keine dienstlichen E‑Mail-Adressen mitteilen und keine Verteilerzugänge einrichten.
- Datenschutz bleibt Leitplanke: Ohne Einwilligung der Beschäftigten ist die Weitergabe personenbezogener Daten an Dritte (auch Gewerkschaften) unzulässig. Halten Sie Ihre Datenschutzprozesse und -hinweise hierzu sauber.
- Interne Netzwerke schützen: Weisen Sie Zugriffsanforderungen auf Viva Engage, SharePoint & Co. zurück, wenn diese über punktuelle, klar begrenzte Maßnahmen hinausgehen oder Einblicke in interne Kommunikation/Strukturen ermöglichen.
- Intranet-Gestaltung: Ein unverrückbarer Startseiten-Link ist nicht geschuldet. Prüfen Sie aber, ob eine neutrale, weniger prominente Verlinkung (z.B. im Bereich „Betriebsrat/Sozialpartner“ oder auf der GBR-Seite) Ihrem Kommunikationskonzept entspricht und Konflikte vermeidet.
- Physischer Zugang bleibt: Das anerkannte betriebliche Zutrittsrecht zu Werbezwecken besteht fort. Organisieren Sie hierfür transparente, störungsarme Prozesse (Anmeldung, Zeitfenster, Begleitung).
- Policy & Governance:
- Regeln Sie in IT- und Kommunikationsrichtlinien klar die Nutzung externer Inhalte und Werbung.
- Legen Sie Zuständigkeiten für Anfragen von Gewerkschaften fest (HR/Legal/IT).
- Dokumentieren Sie Entscheidungen und deren Begründung (Compliance, Gleichbehandlung).
Für Gewerkschaften
- Setzen Sie auf Einwilligungen: Sammeln Sie E‑Mail-Adressen mit Einwilligung der Beschäftigten (z.B. im Beitrittsprozess, bei Infoständen).
- Präsenz vor Ort nutzen: Das physische Zutrittsrecht im Betrieb bleibt ein wirksamer Weg, um auch digital anschlussfähige Kontakte aufzubauen.
- Digitale Inhalte gezielt platzieren: Prüfen Sie weniger eingriffsintensive Wege (z.B. Link über die Seite des Gesamtbetriebsrats, QR-Codes in Pausenbereichen).
- Maß und Mitte: Massenhafte E‑Mailings an betriebliche Adressen ohne Einwilligung sind rechtlich riskant und praktisch angreifbar (Betriebsablauf, IT-Security, Datenschutz).
Für Arbeitnehmer
Ihre personenbezogenen Daten sind vor einer Weitergabe an Dritte (auch Gewerkschaften) ohne Einwilligung geschützt.
Einordnung: Digitalisierung ja – aber mit Grenzen
Das BAG erkennt ausdrücklich, dass Gewerkschaften in einer digitalisierten Arbeitswelt zeitgemäß kommunizieren müssen. Es zieht die Grenzen jedoch dort, wo:
- die Nutzung interner Systeme tief in Organisation, Abläufe und Informationshoheit des Arbeitgebers eingreift,
- personenbezogene Daten der Arbeitnehmer ohne geeignete Rechtsgrundlage verarbeitet würden,
- die Funktionsfähigkeit des Betriebs beeinträchtigt werden kann.
Wichtig ist auch der verfassungsrechtliche Ansatz des Gerichts: Bei der Ausgestaltung der Koalitionsbetätigung muss immer die geplante Nutzung mitgedacht und gegen die Rechte des Arbeitgebers und der Beschäftigten abgewogen werden. Reine „Zugangs“- oder „Auskunfts“-Ansprüche losgelöst von der Nutzung scheiden aus.
Praxis-Checkliste: So reagieren Sie auf Gewerkschaftsanfragen
- Verlangt: Herausgabe dienstlicher E‑Mail-Adressen?
- Antwort: Ablehnen. Datenschutz und BAG-Rechtsprechung entgegenhalten.
- Verlangt: Einrichtung Verteileradresse/Auto-Forward an „alle“?
- Antwort: Ablehnen. Unzumutbare Eingriffe in Organisation und Betriebsablauf.
- Verlangt: Zugang zu Viva Engage/M365 als „internal user“ oder Gast?
- Antwort: Ablehnen, insbesondere wegen Zugriffstiefe und Schutz interner Kommunikation.
- Verlangt: Fester Startseiten-Link im Intranet?
- Antwort: Ablehnen. Optional prüfen, ob eine weniger prominente, klar gekennzeichnete Verlinkung an anderer Stelle in Ihr Konzept passt.
- Gewünscht: Termin/Stand im Betrieb für Mitgliederwerbung?
- Antwort: Bei Beachtung der Rahmenbedingungen ermöglichen (Zutrittsrecht).
Fazit
Das BAG schafft Klarheit: Digitale Gewerkschaftskommunikation ist nicht grenzenlos. Arbeitgeber müssen keine Mitarbeiter-E‑Mail-Listen herausgeben, keine M365‑„internal user“-Zugänge ermöglichen und keinen unverrückbaren Startseiten-Link im Intranet schalten. Gewerkschaften bleiben auf Einwilligungen, physische Präsenz und weniger eingriffsintensive digitale Wege verwiesen. Für beide Seiten gilt: Gute Planung, klare Prozesse und datenschutzkonforme Lösungen verhindern Konflikte – und ermöglichen eine faire, moderne Kommunikation im Betrieb.
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