Baubetrieb erkannt? Gefahr für Betriebsvereinbarungen

Wenn die ULAK (Urlaubs- und Lohnausgleichskasse) Beiträge fordert, prüft das Arbeitsgericht grundsätzlich: Liegt ein Baubetrieb vor? Maßstab sind VTV Bau (Verfahrenstarifvertrag Sozialkasse) und BRTV Bau (Bundesrahmentarifvertrag). Wird Ihr Betrieb als „Baubetrieb“ eingestuft, hat das weitreichende Folgen – weit über die ULAK- / SOKA-BAU-Beiträge hinaus. Dann greifen die allgemeinverbindlichen Tarifverträge des Baugewerbes in den Betrieb hinein. Vor allem Betriebsvereinbarungen zu Entgelt und Arbeitszeit geraten unter Druck.

Worum geht’s – ganz kurz

  • ULAK/SOKA-BAU: Gemeinsame Einrichtung der Tarifparteien im Bau. Zieht u.a. Beiträge für Urlaub, Zusatzversorgung, Berufsbildung ein.
  • VTV Bau: Tarifvertrag über das Sozialkassenverfahren.
  • BRTV Bau: Bundesrahmentarifvertrag mit zentralen Arbeitsbedingungen im Bau.
  • Sperrwirkung § 77 Abs. 3 BetrVG: Betriebsvereinbarungen dürfen Entgelt und Arbeitsbedingungen nicht regeln, wenn dies tariflich geregelt ist oder üblicherweise tariflich geregelt wird. Ausnahme: ausdrückliche Öffnungsklausel im Tarifvertrag. Mitbestimmung nach § 87 Abs. 1 BetrVG bleibt unberührt.

Wann ist ein Baubetrieb gegeben?

Ein Baubetrieb liegt vor, wenn in Ihrem Betrieb arbeitszeitlich überwiegend bauliche Leistungen im Sinn des VTV/BRTV erbracht werden. (vgl. Beratung und Prozeßführung zu Forderungen der SOKA-Bau)

  • Es zählt die überwiegende Arbeitszeit der Beschäftigten. Angestellte werden mitgerechnet, wenn ihre Tätigkeiten im Zusammenhang mit den baulichen Arbeiten stehen (z. B. Bauverwaltung, Bauhof, Disposition, Lohnabrechnung). Das hat das BAG ausdrücklich klargestellt (st.Rspr. BAG v. 14.07.2021 – 10 AZR 190/20).
  • Mischbetriebe: Überwiegen baugewerbliche Leistungen (inklusive Zusammenhangstätigkeiten), greift der Bau-Tarif.
  • Selbständige Betriebsabteilung: Auch eine klar abgegrenzte Abteilung kann für sich allein am Bau-Tarif hängen.
  • Darlegungslast: Zunächst muss die SOKA-BAU Tatsachen für den Baubetrieb vortragen; der Arbeitgeber muss dann die tatsächlichen Tätigkeiten und Zeitanteile konkret entgegnen.
  • Durchschnittsbeitragsklage: Fehlen Arbeitgebermeldungen, darf die ULAK Beiträge auf Basis von Durchschnittslöhnen einklagen (st.Rspr., BAG v. 30.10.2019 – 10 AZR 177/18).

Kurz: Wer arbeitszeitlich überwiegend baut (inkl. typischer Neben- und Verwaltungstätigkeiten zum Bau), ist Baubetrieb – mit allen Folgen.

Was bedeutet die Einstufung als Baubetrieb?

  • Anwendung der einschlägigen Bautarifverträge, soweit sie gelten bzw. allgemeinverbindlich sind (z.B. BRTV Bau, VTV Bau).
  • Beitragspflichten zur ULAK und ZVK-Bau (SOKA-BAU).
  • Kollektivrechtlich brisant: Betriebsvereinbarungen über Entgelt oder andere tarifliche Arbeitsbedingungen sind wegen der Sperrwirkung des § 77 Abs. 3 BetrVG grundsätzlich unwirksam – es sei denn, der Tarifvertrag lässt ausnahmsweise Betriebsvereinbarungen zu (Öffnungsklausel). Die erzwingbare Mitbestimmung des Betriebsrats nach § 87 Abs. 1 BetrVG bleibt bestehen.

Warum können Betriebsvereinbarungen unwirksam werden?

Die Sperrwirkung von § 77 Abs. 3 BetrVG schützt die Tarifautonomie. Bereiche, die durch Tarif geregelt sind oder üblicherweise tariflich geregelt werden (Entgelt, Arbeitszeit, Zuschläge, Urlaubssystematik usw.), dürfen nicht per Betriebsvereinbarung abweichend geregelt werden – auch nicht „zugunsten“ der Beschäftigten. Eine Ausnahme gilt nur, wenn der Tarifvertrag das ausdrücklich erlaubt (Öffnungsklausel). Unberührt bleiben echte Mitbestimmungsthemen nach § 87 Abs. 1 BetrVG (z.B. Lage der Arbeitszeit, Pausenordnung, technische Überwachung), soweit nicht Gesetz oder Tarif abschließend regelt.

Bedeutung aus drei Blickwinkeln

Perspektive Bedeutung
Unternehmen Zusätzliche Pflichten (Beiträge, Nachmeldungen), Anpassung von Arbeitsbedingungen an Bautarif. Risiko: bisherige Betriebsvereinbarungen zu Entgelt/Arbeitszeit und andere Arbeitsbedingungen werden unwirksam.
Betriebsrat Mitbestimmung bleibt in § 87-Themen. Aber Entgelt-/Arbeitszeit-„Pakete“ als Betriebsvereinbarung sind gesperrt, sofern tatsächlich oder üblicherweise tariflich geregelt. Erforderlich: Neuaufstellung der BV-Landschaft.
Arbeitnehmer Tarifliche Mindeststandards gelten. Günstige betriebliche BV-Regelungen zu tariflichen Entgelt/Arbeitsbedingungen können wegfallen, müssen ggf. individuell oder tariflich abgesichert werden.

Vorteilhafte Betriebsvereinbarungen retten – was ist möglich?

Ziel: Günstige innerbetriebliche Vorteile rechtssicher erhalten. Einige erprobte Wege:

  • Tariföffnung nutzen: Prüfen, ob der Bautarif an der konkreten Stelle Betriebsvereinbarungen zulässt. Falls ja: Regelung auf Öffnungsklausel stützen.
  • Firmentarifvertrag/Haus-Tarif: Gemeinsam mit einer Gewerkschaft eine Öffnung oder Ergänzung tariflich verankern. So lassen sich Vorteile kollektiv sichern.
  • Individualrechtliche Lösung: Vorteile als arbeitsvertragliche Zusage vereinbaren (Günstigkeitsprinzip). Tarifliche Mindestbedingungen dürfen individualrechtlich überboten werden, sofern der Tarif das nicht ausschließt. Betriebsvereinbarungen sind hier gesperrt – Individualverträge nicht.
  • Saubere Trennung: Was § 87 Abs. 1 BetrVG betrifft (z.B. Schichtpläne, Lage der Arbeitszeit), bleibt mitbestimmungspflichtig und BV-fähig. Inhalte strikt von Entgeltfragen trennen.
  • Geordnete Ablösung: Bestehende BV rechtlich prüfen, unwirksame Teile geordnet durch individualvertragliche Zusage, Gesamtzusage oder Firmentarif ersetzen; Kommunikation und Ausgleichsmodelle planen.

Wichtig: „Regelungsabreden“ sind ebenso von der Sperrwirkung erfasst. Ohne tarifliche Öffnung bleibt für Entgeltthemen nur der tarifliche oder individuelle Weg.

Ihre To-dos

Schritt Was ist zu tun
Tätigkeitsanalyse Tätigkeiten und Zeitanteile aller Beschäftigtengruppen erfassen (einschließlich Angestellten-Zusammenhangstätigkeiten).
Baubezug prüfen Fällt der Betrieb/die Abteilung unter VTV/BRTV? Mischbetrieb? Selbständige Abteilung?
ULAK-Verfahren Darlegungsstrategie, Belege, Säumniszuschläge, ggf. Vergleichs- oder Prozessstrategie.
BV-Screening Alle Betriebsvereinbarungen auf tarifnahe Inhalte prüfen (Entgelt, Arbeitszeit, Zuschläge, Urlaub).
Sicherungsstrategie Öffnungsklauseln nutzen, Firmentarif erwägen, Vorteile individualvertraglich zusagen.
Kommunikation Betriebsrat, Belegschaft, Payroll/HR-Prozesse rechtssicher umstellen.

Folgerungen

Die Einstufung als Baubetrieb entscheidet nicht nur über SOKA-BAU-Beiträge. Sie kippt oft auch „liebgewonnene“ Betriebsvereinbarungen zu Entgelt, Arbeitszeit, Arbeitsbedingungen.

Handeln Sie jetzt: BV-Portfolio prüfen, Öffnungsklauseln nutzen, Vorteile tariflich oder individualrechtlich absichern und die tariflichen Sozialkassen-Verfahren sauber managen.

Dr. MEIDES Rechtsanwälte und Fachanwälte für Arbeitsrecht sind seit mehr als zwanzig Jahre auf Rechtskonflikte mit den tariflichen Sozialkassen spezialisiert. Wir beraten Unternehmen aller Größen zur Sozialkassenpflicht und verhandeln rechtssichere Kollektiv- und Individuallösungen – gerade auch zur „Rettung“ günstiger innerbetrieblicher Regelungen / Betriebsvereinbarungen.
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