„Vander Elst“-Visum, Polnischer Bau-Dienstleister, rotierende ukrainische Arbeitnehmer: „vorübergehende Dienstleistung“?

Die Dienstleistungsfreiheit innerhalb der EU gilt auch auf dem Bau

In der Europäischen Union herrscht Dienstleistungsfreiheit. Eine praktische Folge: Unternehmen aus anderen EU-Mitgliedsstaaten, etwa Baubetriebe aus Polen, Bulgarien oder Rumänien, können unter bestimmten Voraussetzungen …

  • in Deutschland vorübergehend Dienstleistungen erbringen, auch im Baugewerbe, ohne eine deutsche Niederlassung zu gründen, und …
  • dafür Arbeitnehmer aus Nicht-EU-Ländern nach Deutschland entsenden, die bei ihnen angestellt sind.

Wohlgemerkt: Das ist an Bedingungen geknüpft. Will ein polnischer Betrieb auf einer deutschen Baustelle Bauaufträge ausführen, und dafür seine ukrainischen Arbeitskräfte nach Deutschland schicken, dann muss eine ganze Reihe von Voraussetzungen erfüllt sein, wenn dieser Einsatz legal sein soll. Das gilt natürlich auch für andere EU-Mitgliedsstaaten, und übrigens auch für die Schweiz, Island, Norwegen und Liechtenstein.

Entsendung von Arbeitnehmern aus Drittstaaten

Ein besonderes Thema bei grenzüberschreitenden Dienstleistungseinsätzen sind Arbeitnehmer aus Drittstaaten (außerhalb der EU bzw. des EWR): Wenn wie in unserem Beispiel ein polnisches Unternehmen ukrainische Staatsangehörige für vorübergehende Dienstleistungen in Deutschland einsetzen will, dann müssen diese …

  • dauerhaft bei dem polnischen Unternehmen beschäftigt sein (sie dürfen nicht speziell nur für die Entsendung angeworben werden)
  • eine langfristiger Aufenthalts- und Arbeitserlaubnis in Polen besitzen,
  • vor dem Einsatz bei der deutschen Botschaft in Warschau ein sogenanntes „Vander Elst“-Visum beantragen (falls der Arbeitseinsatz in Deutschland mehr als drei Monate innerhalb eines zwölfmonatigen Zeitraums umfasst, sonst ist kein Visum nötig)

Es gibt noch eine weitere Bedingung: Es darf sich nur um einen vorübergehenden Arbeitseinsatz zum Erbringen einer Dienstleistung handeln, nicht um eine dauerhafte Geschäftstätigkeit in Deutschland.

Produktion von Betonfertigteilen in Deutschland: vorübergehend oder auf Dauer angelegt?

Die Abgrenzung zwischen einer vorübergehenden und einer dauerhaften Dienstleistung auf deutschem Boden ist bei solchen grenzüberschreitenden Aufträgen zentral. Das zeigt ein Fall, der vor kurzem das Bundesverwaltungsgericht in Leipzig beschäftigt hat. Ein ukrainischer Arbeiter hatte geklagt, weil die deutsche Botschaft in Warschau ihm ein „Vander Elst“-Visum verweigert hatte. Die deutsche Botschaft war jedoch berechtigt, die Voraussetzungen für die Visumserteilung zu prüfen.

Der Mann war in Polen mit einem befristeten Visum tätig. Arbeitgeber war ein polnisches Unternehmen, das Polen und Ukrainer jeweils für zwei Jahre beschäftigte. Sie wurden in der Produktion von Betonfertigteilen eingesetzt, entweder im polnischen Werk des Unternehmens oder, je nach Arbeitsanfall, im Betonfertigteile-Werk eines deutschen Auftraggebers. Dieser hatte mit dem polnischen Unternehmen einen Werkvertrag geschlossen. So wurden regelmäßig 50 bis 60 Arbeitnehmer in das Werk des deutschen Auftraggebers entsandt, die dort unter Führung des polnischen Unternehmens arbeiteten.

Die deutsche Botschaft in Polen sah darin jedoch nicht das Ausführen von vorübergehenden Dienstleistungen, sondern eine Personalunterstützung, und stellte dem Ukrainer das nötige „Vander Elst“-Visum nicht aus. Seine Klage dagegen blieb ohne Erfolg: Auch das Bundesverwaltungsgericht sah keine vorübergehende Dienstleistung, sondern ein längerfristiges Rotationssystem, bei dem das polnische Unternehmen kontinuierlich Arbeitnehmer nach Deutschland entsandte.

„Vander Elst“-Visum nur bei vorübergehender Dienstleistung

Auch bei vorübergehender Entsendung muss den Arbeitskräften während ihres Einsatzes in Deutschland der jeweilige deutsche Mindestlohn bezahlt werden. Das ist, je nach Branche, der gesetzliche Mindestlohn, oder wie im Baugewerbe der allgemeinverbindliche tarifliche Mindestlohn. Auch in Bezug auf den Urlaub und andere Regelungen müssen allgemeinverbindliche Tarifregelungen eingehalten werden.

Trotzdem sind ukrainische Arbeitnehmer, die ein polnisches Unternehmen vorübergehend für einen deutschen Auftraggeber in Deutschland einsetzt, in der Regel eine betriebswirtschaftlich sinnvolle Option. Doch dabei müssen die Details stimmen, wie der Beschluss des Bundesverwaltungsgerichts zeigt. Das ist auch für den Auftraggeber in Deutschland wichtig.

  • Es darf sich nicht um eine dauerhafte Erbringung von Dienstleistungen in Deutschland durch das ausländische Unternehmen handeln, denn sonst gelten andere aufenthaltsrechtliche Voraussetzungen. Ein polnisches Unternehmen kann sich aufgrund der Niederlassungsfreiheit zwar auch dauerhaft in Deutschland ansiedeln. Es kann dann in Deutschland jedoch keine Arbeitnehmer aus Drittstaaten beschäftigen, die nur eine Arbeitsberechtigung für Polen besitzen, nicht jedoch für Deutschland.
  • Ein weiteres Risiko lauert beim Übergang von der eigenen Erbringung von Dienstleistungen zur grenzüberschreitenden Arbeitnehmerüberlassung. Leiharbeit über EU-Grenzen hinweg ist natürlich möglich. Dafür gelten jedoch besondere rechtliche Anforderungen, Dokumentations- und Meldepflichten.
  • Außerdem muss die Mindestlohnpflicht eingehalten werden. Dafür haftet im Zweifel auch der Auftraggeber. Außerdem muss geklärt sein, ob Sozialkassenbeiträge anfallen.

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