Tariftreue im Bau: EuGH stoppt Tariflöhne ohne AVE

EuGH: Tariftreue ohne Allgemeinverbindlicherklärung (AVE) unzulässig – was das für öffentliche Bauaufträge bedeutet

Öffentliche Auftraggeber dürfen Bietern nicht pauschal vorschreiben, lokale Tariflöhne zu zahlen, wenn diese Tarifverträge nicht allgemeinverbindlich sind oder auf gesetzlicher Grundlage beruhen. Das hat der Europäische Gerichtshof (EuGH) im Fall „Rüffert“ schon 2008 entschieden. Für die Baupraxis ist das stets wichtig: Welche Lohnvorgaben in Vergabeunterlagen sind rechtssicher – und welche nicht?

Worum ging es?

Ein Land schrieb einen großen Bauauftrag aus und verlangte eine „Tariftreueerklärung“: Der Auftragnehmer und seine Nachunternehmer sollten mindestens den am Ausführungsort tarifvertraglich vorgesehenen Lohn zahlen. Grundlage war ein Landesvergabegesetz. Der einschlägige Bautarifvertrag war jedoch nicht allgemeinverbindlich. Nach Vertragsausführung verhängte der Auftraggeber wegen angeblicher Verstöße eine Vertragsstrafe. Der Rechtsstreit landete beim EuGH.

Die Kernaussagen des EuGH

  • Mitgliedstaaten dürfen entsendenden Unternehmen nur solche Mindestarbeitsbedingungen vorschreiben, die
    • durch Gesetz/Verordnung vorgegeben sind oder
    • aus allgemeinverbindlich erklärten Tarifverträgen stammen.
  • Lohnpflichten aus „bloßen“ Tarifverträgen ohne Allgemeinverbindlicherklärung, die nur für öffentliche Aufträge gelten, sind unionsrechtswidrig (Beschränkung der Dienstleistungsfreiheit).
  • Ein Landesvergabegesetz kann nicht selbst „Mindestlöhne“ festlegen, indem es auf nicht allgemeinverbindliche Tarifverträge verweist.
  • Zulässig bleiben Mindestlohnvorgaben, die auf gesetzlicher Grundlage oder auf allgemeinverbindlichen (AVE) Tarifverträgen beruhen.

Kurz: Tariftreueklauseln sind nur belastbar, wenn sie sich auf gesetzliche Mindestlöhne oder AVE-Tarifverträge stützen.

Was heißt das für die Praxis?

Für öffentliche Auftraggeber

  • Formulieren Sie Lohnvorgaben nur, wenn deren Grundlage
    • im Gesetz/der Verordnung ausdrücklich vorgesehen ist, oder
    • im einschlägigen, allgemeinverbindlichen Tarifvertrag liegt.
  • Vermeiden Sie Verweise auf „lokale“ oder „übliche“ Tariflöhne ohne AVE.
  • Vertragsstrafen- und Kündigungsklauseln, die ausschließlich einen nicht-AVE-Tarif durchsetzen sollen, sind angreifbar.
  • Achten Sie auf die Nachunternehmerkette: Zulässige Lohnvorgaben müssen konsistent und überprüfbar auf Subunternehmer erstreckt werden.

Für Bieter und Bauunternehmen

  • Prüfen Sie Vergabeunterlagen genau:
    • Stützen sich Lohnpflichten auf Gesetz/Verordnung oder AVE-Tarife? Wenn nein, sind die Klauseln anfechtbar.
    • Passen die geforderten Nachweise (z. B. Tariftreueerklärungen) zur rechtlichen Grundlage?
  • Rügen Sie unzulässige Lohnklauseln fristgerecht. Unionsrechtswidrige Vorgaben dürfen nicht zum Ausschluss führen.
  • Beachten Sie: Gesetzliche Mindestlöhne und AVE-Tarifmindestlöhne sind einzuhalten – auch für entsandte Arbeitnehmer und in der Nachunternehmerkette.

Do’s and Don’ts im Überblick

  • Do: Gesetzlich angeordnete oder durch AVE-Tarif gesicherte Mindestlöhne einhalten und sauber dokumentieren.
  • Do: In Vergabeverfahren Bieterfragen stellen und unklare oder überzogene Lohnklauseln rügen.
  • Don’t: „Ortsübliche“ oder rein lokal-tarifliche Löhne ohne AVE nicht als verbindlich hinnehmen.
  • Don’t: Vertragsstrafen nicht akzeptieren, die allein nicht-AVE-Tariflöhne durchsetzen sollen, ohne die Rechtslage zu prüfen.

Warum das Urteil auch heute relevant ist

Viele Landesvergabegesetze arbeiten mit Tariftreue- und Mindestlohnvorgaben. Diese sind nur dann rechtssicher, wenn sie mit dem EU-Recht vereinbar sind. Wer hier sauber differenziert, verhindert Vergabenachprüfungen, Vertragsstreitigkeiten und Folgekosten – und sorgt für faire Wettbewerbsbedingungen im Bau.

Sprechen Sie uns an

Sie möchten Vergabeunterlagen rechtssicher gestalten oder prüfen lassen? Oder Sie überlegen, unklare Lohnklauseln zu rügen? Schreiben Sie uns per E‑Mail – wir unterstützen Sie schnell und pragmatisch.

Dr. Meides Rechtsanwälte & Partner, Fachanwälte für Arbeitsrecht, sind ausgewiesene Experten für tarifvertragliches Sozialkassenrecht. Beraten werden Unternehmen dazu, ob und wie sie Beitragszahlungen an die SOKA-Bau begrenzen oder ganz vermeiden können. Schreiben Sie gerne eine E-Mail an MEIDES Rechtsanwälte Frankfurt.

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