Arbeitgeber darf dem Betriebsrat die Präsenzsitzung nicht verbieten

Betriebsrat zur Video-Konferenz verpflichten? Geht nicht, sagt das Landesarbeitsgericht Berlin-Brandenburg

Als Reaktion auf das Pandemiejahr 2020 können seit Mai Betriebsratssitzungen auch als Video-Meeting durchgeführt werden. Dazu wurde eigens ein neuer Paragraph ins Betriebsverfassungsgesetz eingefügt. Der Arbeitgeber kann jedoch nicht in jedem Fall auf der digitalen Durchführung bestehen, um Infektionen und Quarantänemaßnahmen im eigenen Haus so weit wie möglich zu vermeiden.

Ob Arbeitgeber Präsenz-Meetings der Arbeitnehmervertreter dulden (und bezahlen) müssen, hängt stattdessen von der Art der anstehenden Aufgaben ab. Ein Präsenztreffen kann notwendig sein, damit geheime Wahlen möglich sind. Das hat das Landesarbeitsgericht Berlin-Brandenburg im August 2020 entschieden.

Arbeitgeber befürchtet infizierte Ärzte und Pflegemitarbeiter

Der aus 35 Mitgliedern bestehende Gesamtbetriebsrat einer großen Trägergesellschaft von Reha-Kliniken mit 1.800 Mitarbeitern wollte im August 2020 ein mehrtägiges Treffen abhalten. Dies sollte als Präsenzsitzung in einem Hotel in Koblenz erfolgen. Ansonsten wurden Betriebsratstreffen angesichts der Pandemie bereits seit März 2020 in Form von Video- und Telefon-Konferenzen durchgeführt.

Der Arbeitgeber war mit der klinikübergreifenden Sitzung vor Ort nicht einverstanden. Er untersagte das Treffen der Betriebsratsmitglieder und widerrief die zugesagte Kostenübernahme. Zuvor war es bei einem privaten Treffen beschäftigter Ärzte bereits zu Corona-Infektionen und Quarantäne-Maßnahmen für 130 Patienten gekommen.

Niederlage vor dem Arbeitsgericht, Erfolg vor dem Landesarbeitsgericht

Der Gesamtbetriebsrat zog vor das Berliner Arbeitsgericht und beantragte eine Einstweilige Verfügung: Er werde durch das Verbot der Präsenzsitzung und die Stornierung der Hotelbuchungen in seiner Arbeit behindert. Es sei Sache des Gesamtbetriebsratsvorsitzenden, eigenständig festzulegen, wann und wie Sitzungen durchgeführt würden.

Der Arbeitgeber verwies darauf, dass er zum Schutz der Patienten vor Corona-Erkrankungen verpflichtet sei. Ein klinikübergreifendes Treffen vervielfache die Infektionsrisiken. Bereits ein Infektionsfall bei dem Treffen könne zu Quarantänemaßnahmen in allen 30 Klinikbetrieben des Trägers führen. Diese Argumente überzeugten das Arbeitsgericht, dass dem Betriebsrat die beantragte Einstweilige Verfügung verweigerte. Der Gesundheitsschutz sei höherwertig. Der Gesamtbetriebsrat legte dagegen Beschwerde vor dem Landesarbeitsgericht Berlin-Brandenburg ein und hatte – zumindest teilweise – Erfolg.

Entscheidend: Die Möglichkeit, geheime Wahlen durchzuführen

Mittlerweile ging es um einen neuen Termin, der für September 2020 in Darmstadt anberaumt war. Ein zentrales Argument der Arbeitnehmervertreter: Auf der Tagesordnung standen die Wahl des stellvertretenden Gesamtbetriebsrats-Vorsitzenden und Nachwahlen zu zwei Betriebsausschüssen. Bei einer Video-Konferenz seien geheime Wahlen nicht möglich.

Die Richter am Landesarbeitsgericht sahen es ähnlich: Die Untersagung der Präsenzsitzung durch den Arbeitgeber sei eine Störung und Behinderung der Betriebsratsarbeit. Wegen der angesetzten Wahlen sei ein Ausweichen auf eine Video-Konferenz nicht möglich.

Verbieten von Präsenzsitzung des Betriebsrats verboten – aber nur im Einzelfall

Allerdings betrifft die Eilentscheidung des LAG Berlin-Brandenburg ausdrücklich nur die konkrete Betriebsratssitzung in Darmstadt. Dem Arbeitgeber wurde nicht auferlegt, generell keine Präsenzsitzung zu untersagen.

Falls die Tagesordnung der Betriebsratssitzung per Telefon oder Video nicht abgehandelt werden kann, etwa bei geheimen Wahlen, müssen Präsenztreffen möglich sein. Briefwahl ist keine zulässige Alternative.

Wann der Arbeitgeber dagegen die Arbeitnehmervertretung zu virtuellen statt Präsenz-Meetings verpflichten kann, legten die Richter nicht näher fest. In jedem Fall müssen Betriebsräte bei der Entscheidung über Präsenztreffen das Für und Wider im Einzelfall abwägen. Dazu kann eine mögliche Pflicht zur Rücksichtnahme auf weitergehende Umstände wie das Infektionsrisiko wichtiger Berufsgruppen wie Ärzte ebenso gehören wie die gerade geltenden Vorschriften zur Pandemiebekämpfung.

Arbeitgeber- und Betriebsratsrechte in Pandemiezeiten

Die Pandemie führt auch im kollektiven Arbeitsrecht zu neuartigen Fragen. Die Grundsätze, nach denen die Rechtsfragen entschieden werden, sind jedoch gleichgeblieben. Als Fachanwalt für Arbeitsrecht betreut Rechtsanwalt Dr. Meides seit vielen Jahren sowohl Arbeitgeber wie Betriebsräte im Mitbestimmungs- und Betriebsverfassungsrecht. Sie erreichen die Meides Rechtsanwaltsgesellschaft unter MEIDES Rechtsanwälte, Frankfurt.

Das in diesem Beitrag verwendete Foto stammt von Pixabay.com © Photomix-Company. Herzlichen Dank!