Bundesarbeitsgericht zum Betriebsrisiko bei Corona-Lockdown: kein Lohnanspruch gegen Arbeitgeber

Betriebsrisiko bei Ladenschließung im Corona-Lockdown: Verkaufskraft klagt auf Zahlung ihres Entgelts

Ein Handelsgeschäft für Nähmaschinen und Nähmaschinenzubehör aus dem niedersächsischen Verden musste im April 2000 im Rahmen der ersten Corona-Lockdowns eine Bremer Filiale schließen. Das Bundesland hatte nicht systemrelevanten Einzelhandelsgeschäften per Verordnung die Öffnung untersagt. Für eine Verkäuferin aus dem Bremer Laden bedeutete diese Maßnahme nicht nur Arbeitsausfall, sondern auch den Wegfall der Vergütung. Der Arbeitgeber zahlte ihr für die Schließungszeit im April kein Geld. Und anders als bei ihren sozialversicherungspflichtig beschäftigten Kolleginnen gab es für sie als Minijobberin auch kein Kurzarbeitergeld von der Arbeitsagentur.

Sie verklagte ihren Arbeitgeber deshalb vor dem Arbeitsgericht Verden und forderte die Nachzahlung ihrer Minijob-Vergütung für den April 2020. Das Verfahren ging anschließend in der Berufung vor das Landesarbeitsgericht Niedersachen in Hannover. Schließlich kam es zur Revisionsverhandlung vor dem Bundesarbeitsgericht in Erfurt. Das traf eine Entscheidung, die viele Beobachter überraschte: Das BAG wies die Klage ab.

Annahmeverzug, Betriebsrisiko und Vergütungsanspruch

Ein Grundsatz des Arbeitsrechts besagt: Wenn der Arbeitgeber das Angebot des Arbeitnehmers zur Arbeitsleistung nicht annimmt, gerät er in Annahmeverzug und muss t den Lohn oder das Gehalt für die entsprechende Arbeitszeit trotzdem zahlen. Schließlich war der Arbeitnehmer ja bereit, seinen Teil des Arbeitsvertrags zu erfüllen.

In Arbeitsverzug geraten Arbeitgeber beispielsweise, wenn sie Arbeitnehmer einseitig freistellen. Entsprechendes gilt, wenn das vom Arbeitgeber zu tragende Betriebsrisiko dazu führt, dass der Arbeitnehmer seine Arbeitsleistung nicht erbringen kann. In solchen Fällen hat der Mitarbeiter dennoch Anspruch auf seine Vergütung. Das steht explizit in § 615 BGB.

Vereinfacht lässt sich der Gedanke, auf dem diese Regelung basiert, so wiedergeben: Da der Arbeitgeber von den Gewinnchancen des Unternehmens profitiert, muss er auch die mit dem Geschäftsbetrieb verbundenen wirtschaftlichen Risiken tragen. Das gilt beispielsweise für einen Produktionsstillstand aufgrund von Lieferschwierigkeiten bei wichtigen Rohmaterialien oder für eine Betriebsunterbrechung, weil ein Ransomware-Trojaner die Unternehmens-IT lahmgelegt hat. In solchen Fällen haben die Mitarbeiter Anspruch auf Bezahlung, obwohl nicht gearbeitet wurde.

BAG: Kein Annahmeverzug bei Lockdown, damit auch keine Vergütungspflicht

Die ersten beiden Instanzen hatten den Anspruch der Verkäuferin auf Bezahlung für den Lockdown-Monat bekräftigt. Die Richter am Bundesarbeitsgericht entschieden anders. Für sie fällt es nicht ins Betriebsrisiko des Arbeitgebers, wenn die Behörden zum Schutz der Bevölkerung vor SARS-CoV-2-Infektionen quasi flächendeckende Schließungen anordnen. Ihr Argument: Dass die Arbeitsleistung nicht erbracht werden konnte, lag nicht am Betriebsrisiko eines einzelnen Unternehmens, sondern an einem hoheitlichen Eingriff wegen einer gesamtgesellschaftlichen Gefahrenlage.

Der Ausgleich des dadurch entstehenden finanziellen Nachteils ist Sache des Staates, so das BAG. Als Beispiel nannte es den Zugang zum Kurzarbeitergeld, der im Rahmen der Corona-Maßnahmen erleichtert worden war. Davon profitierte die geringfügig beschäftigte Klägerin zwar nicht. Doch aus solchen „Lücken in dem sozialversicherungsrechtlichen Regelungssystem“, wie es das BAG in seiner Pressemitteilung formulierte, wollte es keine Zahlungspflicht des Arbeitgebers ableiten.

Fazit: Tut sich etwas beim Betriebsrisiko des Arbeitgebers?

Noch liegt die schriftliche Urteilsbegründung nicht vor. Trotzdem hat die Entscheidung des BAG schon einige Wellen geschlagen.

Zum einen steht die Frage im Raum, ob Arbeitgeber nun bei den Mitarbeitern Löhne und Gehälter für die Lockdown-Monate zurückfordern können, für die keine Kurzarbeit eingeführt wurde. Das dürfte in vielen Fällen allerdings schon daran scheitern, dass die Ausschlussfristen für Rückforderungen abgelaufen sind. Dazu kommen pragmatische Gesichtspunkte wie die Wahrung des Betriebsfriedens.

Zum anderen kann man sich fragen, ob diese Entscheidung einen generellen Kurswechsel in der höchstrichterlichen Rechtsprechung zum Betriebsrisiko und zum Annahmeverzug andeutet. Zuvor hatte das BAG die Zahlungspflicht des Arbeitgebers aufgrund von Annahmeverzug nur dann eingeschränkt, wenn eine vollständige Entgeltzahlung die Existenz des Betriebs gefährdet hätte. Nun treten auch inhaltliche Bedenken gegen eine allzu umfassende Auslegung des Betriebsrisikos dazu.

Dieser Punkt könnte auch in anderen, grundsätzlich vergleichbaren Konstellationen dazu führen, dass Arbeitgeber von der Pflicht zur Lohnzahlung befreit sind, wenn keine Arbeitsleistung möglich war. Sicher scheint jedenfalls, dass diese Entscheidung noch für viele Diskussionen sorgen wird.

Die Meides Rechtsanwaltsgesellschaft berät Arbeitgeber und Betriebsräte zu Arbeitsvertragsrecht und Vergütungsfragen

Rechtsanwalt Dr. Sebastian Läßle befasst sich seit Jahrzehnten mit der Lösung komplexer arbeitsrechtlicher Fragen. Dazu gehören auch die vielen neuen Fragestellungen, die die Pandemie in der Rechtsbeziehung zwischen Arbeitgebern, Arbeitnehmern und Betriebsräten aufgeworfen hat. Sie erreichen die MEIDES Rechtsanwaltsgesellschaft unter MEIDES Rechtsanwälte, Frankfurt.

Das in diesem Beitrag verwendete Foto stammt von Pixabay.com © tumisu. Herzlichen Dank!