Dürfen Arbeitgeber durch Freistellung die Verhandlungsbereitschaft fördern?

Freistellung, um Verhandlungen über einen geänderten Arbeitsvertrag zu erzwingen?

Ungekündigte Arbeitnehmer haben grundsätzlich einen Anspruch auf Beschäftigung. Ein Arbeitgeber darf die Freistellung deshalb nicht als Druckmittel gegenüber tariflich unkündbaren Mitarbeitern oder Arbeitnehmern mit Sonderkündigungsschutz einsetzen. So die Bereitschaft zum Wechsel auf eine geringer bezahlte Stelle zu fördern, ist nicht zulässig.

Dies ergibt sich aus einer Entscheidung des Landesarbeitsgerichts Schleswig-Holstein in Kiel. Sie zeigt, dass im Fall von Konflikten zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer auch eine Freistellung mit Bedacht erfolgen muss.

Der neue Chefarzt und die bisherige geschäftsführende Oberärztin

Die Entscheidung des Landesarbeitsgerichts drehte sich um eine Ärztin am Universitätsklinikum Schleswig-Holstein in Lübeck. Sie war dort seit 2001 angestellt und aufgrund ihrer Dienstjahre tariflich unkündbar. Zudem war sie Strahlenschutzbeauftrage mit Sonderkündigungsschutz. Als Fachärztin für Herzchirurgie hatte sie es bis zur geschäftsführenden Oberärztin in der „Klinik für Herz- und thorakale Gefäßchirurgie“ gebracht. Nebenher hatte sie sich habilitiert und war in der Lehre tätig.

Als im April 2018 ein neuer Chefarzt seine Tätigkeit an der Lübecker Klinik aufnahm, brachte dieser sein eigenes Team aus Oberärzten mit. In der Folge kam es zu Spannungen. Erste Verhandlungen über einen einvernehmlichen Wechsel der Herzchirurgin zur Gefäßchirurgie scheiterten. Ein späteres Angebot, dort als Assistenzärztin zu geringeren Bezügen tätig zu werden, lehnte sie ab.

Freistellung durch die Klinikleitung

Anschließend war die Ärztin zum ersten Mal in ihrer Beschäftigungszeit am Lübecker Klinikum für längere Zeit krank. Als sie nach rund anderthalb Jahren wieder zur Arbeit zurückkehrte, wurde sie am ersten Arbeitstag von der Klinik freigestellt. Der Chefarzt, der auch als Klinikdirektor fungiert, war dabei zugegen. Sie musste Dienst-Laptop, Schlüssel und ähnliches mehr abgeben.

Außerdem wurde ihr Computer-Zugang gesperrt. Das galt selbst für Daten, die ihre Lehrtätigkeit an der Universität Lübeck sowie ihre Aufgaben als Strahlenschutzbeauftragte betrafen. Das Freistellungsschreiben bezog sich ausdrücklich auf „Verhandlungen über die Aufhebung bzw. Abwicklung Ihres Anstellungsverhältnisses“.

Die Ärztin beantragte eine einstweilige Verfügung vor dem Arbeitsgericht Lübeck, um ihre „vertragsgemäße Beschäftigung als geschäftsführende Oberärztin“ zu erreichen. Als sie damit Erfolg hatte, ging die Klinikleitung in Berufung. Aber auch das Landesarbeitsgericht Schleswig-Holstein urteilte zugunsten der Herzchirurgin.

LAG Schleswig-Holstein untermauert Anspruch auf Beschäftigung

In ihrem Urteil wurden die Richter relativ deutlich. Ein berechtigtes Interesse an der Freistellung habe der Arbeitgeber nicht dargelegt. Sie sahen keinerlei Befugnis der Klinikleitung, den arbeitsvertraglichen Beschäftigungsanspruch „einseitig zu suspendieren“, um so Verhandlungen über einen Aufhebungsvertrag zu erreichen.

Genauso wenig zulässig war demnach der Versuch, die Ärztin durch die Freistellung „ohne Beachtung der arbeitsrechtlichen und arbeitsvertraglichen Regelungen und gesetzlichen Grenzen“ zu verdrängen, weil der neue Chefarzt nur mit den von ihm mitgebrachten Oberärzten zusammenarbeiten wollte.

Fazit: Eine Freistellung ohne Kündigung muss stichhaltig begründet werden

Das Urteil macht klar: In einem ungekündigten Arbeitsverhältnis haben Arbeitnehmer grundsätzlich einen Anspruch auf Beschäftigung gemäß Arbeitsvertrag. Das gilt noch mehr, wenn eine Freistellung zu besonderen Nachteilen führt, wie Reputationsschäden, mangelnde Fachpraxis oder Nachteile auf dem Arbeitsmarkt.

Gegen solche Argumente kann sich ein Arbeitgeber in der Regel selbst mit dem Verweis auf branchenübliche Gepflogenheiten, auf die Notwendigkeit eines besonderen Vertrauensverhältnisses oder einen Überhang an Arbeitskräften nicht erfolgreich zur Wehr setzen.

Dies alles macht eine Freistellung keineswegs unmöglich. Sie muss jedoch arbeitsrechtlich stichhaltig begründet werden.

Gegen eine mangelhaft begründete Freistellung hat der Arbeitnehmer gute Chancen vor dem Arbeitsgericht. Die Freistellungerklärung gehört deshalb in die Hände eines Anwalts, zumindest im Kontext arbeitsrechtlicher Konflikte. Ein Fachanwalt für Arbeitsrecht weiß, wann die Freistellung triftig begründet ist.

Anmerkung: Was bedeutet tarifliche Unkündbarkeit?

Der Tarifvertrag für den öffentlichen Dienst sieht für Bedienstete unter bestimmten Voraussetzungen Unkündbarkeit vor, abhängig von der Zahl der Dienstjahre und dem Lebensalter.

Unkündbarkeit bedeutet: eine ordentliche, fristgemäße Kündigung ist nicht mehr möglich. Nur außerordentliche Kündigungen „aus wichtigem Grund“ sind dann noch zulässig – soweit dafür ein Grund vorliegt.

Fachanwalt Dr. Meides hilft Arbeitgebern, Konflikte zielorientiert beizulegen

Der vorliegende Fall zeigt, dass mangelhaft durchdachtes Vorgehen für Arbeitgeber in die Sackgasse führt. Das gilt ganz besonders, wenn es um Mitarbeiter in leitender Position und mit Merkmalen wie unkündbaren Arbeitsverträgen geht.

Als Fachanwalt für Arbeitsrecht hat Rechtsanwalt Dr. Meides umfassende Erfahrung darin, Konflikte mit Arbeitnehmern zielgerichtet beizulegen. Er berät Arbeitgeber arbeitsrechtlich kompetent und mit strategischem Pragmatismus. Die MEIDES Rechtsanwaltsgesellschaft ist unter eMail MEIDES Rechtsanwälte erreichbar.

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