EuGH-Entscheidung zur Rufbereitschaft: Arbeitszeit oder Ruhezeit?

Ist Rufbereitschaft Arbeitszeit oder Freizeit? Dazu hat sich der Europäische Gerichtshof geäußert. Endgültig geklärt hat er die Frage nicht, aber die EuGH-Entscheidung gibt eine Richtung vor. Sie ist auch für Unternehmen in Deutschland wichtig. Mitarbeiter übernehmen Rufbereitschaft – in vielen Fällen hängt davon die Pflicht zur Bezahlung ab.

Bereitschaftszeiten sind entweder Arbeitszeit oder Ruhezeit

Das Arbeitsrecht kennt Arbeitszeiten sowie Ruhezeiten, die dem Arbeitnehmer zur freien Verfügung stehen. Dagegen erwähnen weder die EU-Arbeitszeitrichtlinie noch das deutsche Arbeitszeitgesetz Bereitschaftszeiten als Zwischenkategorie.

In der Praxis gibt es dagegen sehr wohl Abstufungen zwischen klassischer Arbeitszeit und uneingeschränkter Freizeit: Zeiten, in denen der Mitarbeiter nicht arbeitet, über die er aber auch nicht völlig frei verfügen kann. Arbeitsgerichte haben drei Formen von Bereitschaftszeiten unterschieden:

  • Arbeitsbereitschaft mit Anwesenheitspflicht direkt an der Arbeitsstätte
  • Bereitschaftsdienste, bei denen der Arbeitnehmer ausruhen oder Freizeitaktivitäten nachgehen kann, aber an einem bestimmten Ort bleiben muss, etwa in vom Arbeitgeber bereitgestellte Ruheräumen oder auf dem Betriebsgelände.
  • Rufbereitschaft, während der ein Mitarbeiter selbst entscheidet, wo und wie er sie verbringt, solange er erreichbar und bei Bedarf rechtzeitig einsatzbereit vor Ort ist.

Bereitschaftsdienste an einem vom Arbeitgeber bestimmten Ort sind Arbeitszeit, sagt der EuGH

Sind Rufbereitschaften Arbeitszeit oder Ruhezeit? Von der Zuordnung hängt ab, ob solche Zeiten extra bezahlt sowie auf die erlaubten Höchstarbeitszeiten angerechnet werden oder nicht. Da Arbeitszeitfragen durch eine europäische Richtlinie geregelt sind, ist der Europäischen Gerichtshof in letzter Instanz zuständig.

Er hatte in der Vergangenheit bereits entschieden, dass Arbeitsbereitschaft direkt am Arbeitsplatz Arbeitszeit darstellt. Ebenfalls als Arbeitszeit wurden Bereitschaftsdienste eingeordnet, die an einem vom Arbeitgeber bestimmten Ort zugebracht werden, z. B. im Bereitschaftszimmer eines Krankenhauses. Auch die Rufbereitschaft eines belgischen Feuerwehrmannes, der innerhalb von acht Minuten die Feuerwache erreichen musste, war für den EuGH Arbeitszeit und keine Ruhezeit. Deshalb bejahte der EuGH seinen Lohnanspruch für diese Zeiten.

Daheim, aber Rufbereitschaft – Arbeitszeit oder unbezahlte Freizeit?

Vor kurzem haben nun zwei neue Verfahren zur Rufbereitschaft den EuGH erreicht:

  • In einem davon hatte ein Mitglied der Berufsfeuerwehr im hessischen Offenbach am Main geklagt. Er muss während seiner Rufbereitschaft als Gruppenleiter im Einsatzleitdienst jederzeit anrufbereit sein und dann innerhalb von 20 Minuten die Offenbacher Stadtgrenze erreichen, in Einsatzkleidung und mit seinem Einsatzfahrzeug. Diese Dienste nachts und am Wochenende wollte er als Arbeitszeit anerkannt und die Mehrarbeit bezahlt bekommen.
  • In dem anderen Fall war ein slowenischer Radiotechniker zusammen mit einem Kollegen in zwei Rundfunk-Sendeanlagen eingesetzt, wo er täglich zwölf reguläre Arbeitsstunden und zusätzlich sechs Stunden Rufbereitschaft ableisten musste. Da die Installationen weit von seinem Wohnort entfernt lagen, verbrachte er die gesamte Zeit vor Ort und schlief auch dort. Während der Rufbereitschaft musste er in dringenden Fällen binnen einer Stunde am Arbeitsplatz sein. Er klagte darauf, die Stunden der Rufbereitschaft als reguläre Arbeitsstunden und nicht nur mit 20 Prozent des regulären Lohns bezahlt zu bekommen.

EuGH: Rufbereitschaft kann Arbeitszeit sein – entscheidend sind die Einschränkungen

Zeiten, in denen ein Arbeitnehmer nicht für den Arbeitgeber tätig wird, ihm aber auf Abruf zur Verfügung steht, können laut EuGH Arbeitszeit darstellen. Das gilt besonders dann, wenn der Mitarbeiter sich an einem vom Arbeitgeber bestimmten Ort zur Verfügung halten muss. Zwingt die Bereitschaftszeit den Mitarbeiter, sich „außerhalb seines familiären und sozialen Umfelds“ aufzuhalten oder schränkt sie seine Möglichkeit erheblich ein, sich „persönlichen und sozialen Interessen zu widmen“, dann liegt für den EuGH Arbeitszeit im Sinne der Arbeitszeitrichtlinie vor.

Gelten solche Einschränkungen bei einer Rufbereitschaft, dann stellt auch sie Arbeitszeit dar, die vergütet werden muss. Kann der Mitarbeiter während der Rufbereitschaft dagegen außer im Fall von Einsätzen frei über seine Zeit verfügen und sich seinen Interessen widmen, sind nur die tatsächlichen Einsatzzeiten Arbeitszeit. Der Rest der Bereitschaftszeit ist dann Ruhezeit.

Im Streitfall müssen Arbeitsgerichte damit eine Einzelfallentscheidung treffen. Entscheidend ist die Planbarkeit von Freizeitaktivitäten während der Rufbereitschaft. Dabei spielen vor allem die Vorgaben des Arbeitgebers zur Reaktionszeit eine Rolle, außerdem die zu erwartende Häufigkeit und Dauer der Einsätze. Nicht relevant sind dagegen organisatorische Einschränkungen, die sich durch einen abgelegenen Einsatzort oder einen weit entfernten Wohnort ergeben.

Großzügigere Bestimmungen können sich für Arbeitgeber bezahlt machen

  • Je länger die verpflichtende Reaktions- oder Anfahrtszeit ausfällt, desto eher stellt Rufbereitschaft keine Arbeitszeit dar.
  • Als Ruhezeit muss sie weder für Arbeitszeit-Höchstgrenzen noch beim Mindestlohn berücksichtigt werden. Auch die Pflicht zur Bezahlung entfällt, außer im Einsatzfall oder bei entsprechenden gesonderten Vereinbarungen.
  • Auch als Arbeitszeit können Bereitschaftszeiten grundsätzlich geringer entlohnt werden als reguläre Arbeitsstunden.

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